Ein Begleiter zum Rundgang

Kirchen sind sprechende Räume. Menschen fühlen sich durch ihre Architektur, ihre Größe, ihr Alter und die in ihnen spürbare Stille und Geborgenheit angesprochen. Wer bereit ist, Einzelheiten auf sich wirken zu lassen und sie mit dem eigenen Leben und den Aussagen der christlichen Tradition in Verbindung zu bringen, wird tiefere spirituelle Erfahrungen machen. -- Entdecken Sie die Horster Kirche Stück für Stück.

Weithin sichtbar ist der Turm der Kirche in Horst, erbaut 1866/67 vom Konsistorialbaumeister Conrad Wilhelm Hase aus Hannover. Mit einer Höhe von 42 m ist er das höchste Gebäude in Garbsen. Türme sind ein Zeichen von Macht. Weltliche Türme – wie die Geschlechtertürme einflussreicher Familien in San Gimignano in der Toskana oder das World Trade Center in New York – stehen für weltliche Macht. Kirchtürme hingegen weisen auf die Macht Gottes hin.  

Wer an der südlichen, meist verschlossenen Seitentür vorbeigeht, entdeckt über der Tür in Stein gemeißelt den Spruch „Alles vergeht, Gott aber steht". Unzählige und längst vergangene Generationen haben an diesem Ort Trost und Ermutigung erfahren; ebenso geht es vielen Menschen auch heute noch. Hier feiern Menschen den Anfang des Lebens (Taufe), den Übergang zum Erwachsenendasein (Konfirmation), den Start in die Ehe (Trauung), hier denken sie an die Gestorbenen und suchen und erfahren in regelmäßigen Gottesdiensten die Nähe zu Gott.

Wir betreten die Kirche von Westen her durch den Turmraum. Gemäß mittelalterlicher Symbolik ist der Westen die Gegend des Bösen. Der Turmraum wirkt mit seinen massiven Türen, den massiven Mauern und den vergleichsweise kleinen Fenstern wehrhaft und fast burgähnlich, als sollte er dämonische Mächte und finstere Kräfte abwehren. Der schwarze Opferstock im Turmraum stammt aus der Zeit der früheren Kirche, die im 18. Jahrhundert baufällig wurde und 1780 durch die jetzige Kirche ersetzt wurde. Der Opferstock wird heute nur noch selten genutzt.

Wenn wir die bleiverglaste Eingangstür zum Kirchenschiff durchschreiten, verlassen wir den dunklen Eingangsbereich und bewegen uns durch den Mittelgang hin zum Licht. Der Weg durch das Kirchenschiff erinnert uns daran, dass Christsein „auf dem Weg sein” bedeutet – das Ziel ist das Reich Gottes.

Fast alle Kirchen sind „geostet“, das heißt, der Altar befindet sich in Richtung Osten, wo die Sonne aufgeht und der neue Tag anbricht „Ich bin das Licht der Welt" sagt Jesus (Johannes-Evangelium 8,12). Wäre die Wand hinter dem Altar aus Glas, könnte man morgens hinter dem Kreuz die aufgehende Sonne sehen.

Unsere Kirche ist eine Saalkirche. Im Gegensatz zum üppigen und spielerischen Barock ist ihre Grundform schlicht und geometrisch, was sie typisch für den Klassizismus (1770 bis 1840) macht.

Je näher wir dem Altar kommen, desto heller und prunkvoller erscheint unsere bescheidene Kirche. Die vergoldeten Schmuckelemente und korinthischen Säulen sind ein Abbild der Herrlichkeit Gottes. Gleichzeitig wird der Blick nach oben gelenkt. Einige Stufen (vgl. mexikanische Pyramiden) führen hinauf zum Altar. Das Gute, das von Gott kommt, wird von oben her erwartet (Psalm 121, „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher wird mir Hilfe kommen? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat").

Der Altar bildet das Zentrum jeder christlichen Kirche. Ursprünglich, d. h. in der Zeit des Alten Testaments, war der Altar ein Opfertisch, auf dem Rauch-, Pflanzen- und Tieropfer dargebracht wurden, um Gott wohlwollend zu stimmen und Vergebung von Schuld zu erlangen. Im Christentum ist dies nicht mehr notwendig, da Gott keine Opfer zur Versöhnung benötigt (Matthäus 12,7: „Ich habe Wohlgefallen an der Barmherzigkeit und nicht am Opfer"). In der Abendmahlsliturgie klingt der Opfergedanke allerdings noch nach („Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt...").
Dennoch wird der Altar als das „Allerheiligste“ empfunden, dem sich Christen mit Ehrfurcht nähern. Sie spüren hier die Gegenwart Gottes in besonderer Weise. Blumen auf dem Altar sind ein Zeichen der Verehrung Gottes und die Kerzen symbolisieren das Licht, das Christus in diese Welt gebracht hat („Ich bin das Licht der Welt. Wer mir glaubt, wird nicht in der Dunkelheit sein, sondern das Licht des Lebens haben“ (Johannes 8,12).

Das Kreuz verbindet die waagerechte Linie, die Bezug zum Horizont, zur Welt und zur Diesseitigkeit hat, mit der senkrechten Linie, die Bezug nach oben, zu Gott und zur Jenseitigkeit hat. Somit wird das Kreuz zum Sinnbild für die beiden Dimensionen, die zu einem erfüllten Leben dazugehören. An unserem Kreuz ist Christus dargestellt (Kruzifix). Indem er mit seinem Leben für seine gute Botschaft („Evangelium”) eintrat, wird das Kreuz zur Bestätigung der Liebe Gottes (Jesus Christus sagte: „Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben hingibt für seine Freunde”, Johannes 15,13).

In unserer Kirche sind Altar und Kanzel als Kanzelaltar ausgebildet. Der erhöhte Standort der Kanzel hat sowohl akustische Gründe als auch symbolischen Charakter: Das Wort Gottes kommt von oben. Über dem oberen Sims sind Wolken angedeutet sowie die beiden Tafeln mit den Zehn Geboten und die „Biblia“, das Buch, das Gottes Wort enthält.

Das Taufbecken aus dem Jahr 1606 ist einer der ältesten Gegenstände unserer Kirche. Es stammt aus der Zeit der mittelalterlichen Vorgängerkirche, die an dieser Stelle stand, bevor die heutige Kirche im Jahr 1780 fertiggestellt wurde. Es wurde 1606 von der Familie Wedekind gestiftet, aus der auch der erste lutherische Pastor unserer Kirche, Johann Allieb Wedekind (gestorben 1612), stammt. Der sechseckige Grundriss des Taufbeckens symbolisiert die „Sechs“, die in der Zahlensymbolik für die sechs Tage steht, an denen Gott die Welt geschaffen hat. Die „Sechs” gilt als vollkommene Zahl, da sie die Summe aus 1 + 2 + 3 ist und durch diese Zahlen geteilt werden kann.

Das Taufbecken trägt die Inschrift „Markus 10 Jesus sprach: Lasset die Kindlein zu mir kommen und weret ihnen nicht den solcher ist das Reiche Gottes" (Markus 10,14). Auf der anderen Seite befindet sich die Inschrift „Johannis 3 Jesus sprach: Es sei den das jemant geborn wurde aus de Wasser und Geist, so kann ehr nicht ins Rich Gottes komen".
Während der Taufstein in sehr alten Kirchen im Eingangsbereich steht und darauf hinweist, dass die Taufe ein Aufnahmeakt in die Gemeinde ist, steht er in unserer Kirche im Altarraum. Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass Predigt, Taufe und Abendmahl zusammengehören. (Taufe und Abendmahl sind die einzigen Sakramente der evangelischen Kirche.)

In der Messingschale im Taufbecken befindet sich das Christus-Monogramm, das aus den beiden griechischen Buchstaben X (griech. Chi) und R (griech. Rho) für Christus besteht. Je nach Jahreszeit ist dieses Zeichen auch auf dem Parament zu sehen.

Der Weltkugelleuchter wurde im Jahr 2000 von der Familie Fessel gestiftet. Seine Form weist hin auf die über die ganze Welt verstreuten christlichen Gemeinden, die sich unter dem Kreuz versammeln. Das lebendige Flackern der symbolisiert das Licht des lebendigen Gottes. Zu einer angesteckten Kerze kann ein persönliches Gebet gesprochen werden etwa wie folgt: „Entzünde eine Kerze, sprich ein Gebet oder denke an jemanden, der Gottes Licht in seinem Leben nötig hat" oder: „Wir zünden eine Kerze an als Zeichen des brennenden Glaubens, der tätigen Liebe und der christlichen Hoffnung - Christus, Licht der Welt".

Die Orgel ist an der Westwand auf der Orgelempore platziert und so dimensioniert, dass der in der nachreformatorischen Zeit übliche Gemeindegesang in einer gut gefüllten Kirche begleitet werden kann. Bei unserer Orgel handelt es sich um eine mechanische Schleifladenorgel von Hammer aus dem Jahr 1964 mit Rückpositiv, Hauptwerk und Pedal sowie 13 klingenden Stimmen.

Im Jahr 1999 wurde der Kirchturm dank einer Spendenaktion mit einer Wendeltreppe versehen und somit begehbar gemacht. 160 Stufen führen bis in die Spitze des Turms. In der ersten Etage befindet sich der Blasebalg, der die Orgel mit dem nötigen „Wind" versorgt. Früher wurde der Blasebalg mithilfe des heute noch sichtbaren Balkens aufgepumpt; heute erzeugt eine elektrische Pumpe den nötigen Luftdruck.

Eine Holztreppe führt in die darüberliegende Etage. Hier ist zu sehen, wie der viereckige Grundriss in einen achteckigen Grundriss übergeht. Verrostete Rollen an der Holzdecke sowie ein senkrechter Metallstab an der Decke sind Überbleibsel aus der Zeit, als hier das alte, mit über Rollen laufenden Gewichten angetriebene Uhrwerk stand.

Eine schmale Wendeltreppe führt am Glockenstuhl vorbei. Die älteste Glocke aus Bronze (Durchmesser 93 cm) stammt aus dem Jahr 1645 und hing bereits in der Vorgängerkirche. Sie trägt die Inschrift: „Ludolf Siegfried hat mich in Hannover gegossen 1645". Die beiden Stahlglocken stammen aus den Jahren 1905/1907 (Inschrift: „Ich kenne die Meinen und bekannt den Meinen" und „Hoch über allen Namen ist der hehre Name Jesu Christ") und 1950 (Inschrift: „Friede auf Erden und den Menschen sein Wohlgefallen").

Aufgabe der Kirchenglocken ist es, zum Gottesdienst und zum Gebet zu rufen. Eine Läuteordnung regelt, wann welche Glocken zu läuten sind. Die Glocken II und I läuten am Sonnabend von 17.20 bis 17.30 Uhr den Sonntag ein und rufen sonntags mit dem Vorläuten von 8.50 bis 9.00 Uhr und dem Läuten von 9.50 bis 10.00 Uhr zum Gottesdienst. An besonderen Festtagen kommt auch die Glocke III hinzu. Die Betglocke II läutet täglich um 12 und um 18 Uhr für eine Minute. Die Sterbeglocke I läutet bei Beerdigungen, am Karfreitag und am Totensonntag. Läutet sie um 11 Uhr, ist dies das Sterbegeläut für einen Menschen, der kurz zuvor gestorben ist.

Die Tradition des kirchlichen Geläuts ist in Deutschland durch die Religionsfreiheit gesetzlich geschützt. Hinzu kommt zu jeder vollen und halben Stunde der Stundenschlag, der auf das Mittelalter zurückgeht, als der Großteil der Bevölkerung noch keine eigene Uhr besaß.

Nach dem Aufstieg über die schmale Wendeltreppe gelangt man auf die Uhrenetage. Hier treibt ein Elektromotor im Minutentakt über drei Wellen die Uhrzeiger der an der Ost-, Süd- und Westseite des Turms angebrachten Uhren an. An der Ostseite befindet sich ein Holzkasten, der als Wohnung für Turmfalken dient. An der Nordseite ist statt einer Uhr ein Fenster. Von hier aus können sich hin und wieder Wagemutige unter fachkundiger Anleitung an einem Seil den Turm hinunterlassen.

Eine weitere, etwas breitere Wendeltreppe führt hinauf in die Turmspitze zu den acht Eulenfenstern. Von dort aus schweift der Blick über Horst, das Umland bis hin zum Deister und zur Stadt Hannover. Bei klarer Sicht ist in 100 km Entfernung über der Turnhalle der Horster Grundschule die Silhouette des Brocken zu erkennen.

Die im Jahr 1681 an der Ostseite der Kirche angebaute Gruft dient der Familie des Amtmanns Voigt als Grabkammer. Das Giebeldreieck weist frühbarocke Bauformen auf. In der Gruft befinden sich reich geschmückte Prunksärge. Auf der linken Seite der oberen Etage ist der wohl älteste Sarg zu sehen, in dem Conrad Ludwig Voigt, geboren 1718 und gestorben 1719, beigesetzt wurde. Ebenfalls zu den ältesten Särgen zählt ein vergleichsweise bescheidener Holzsarg auf der rechten Seite der oberen Etage mit der Aufschrift: „Ruhe Cammer für die Gebeine der Weyl Frau Frau Marie Elisabeth von Hugo....... Gestorben den 26. April 1755".

Bis um das Jahr 1900 diente die Fläche rund um die Kirche als Friedhof. Noch heute sind die beiden quadratischen Grabmale der Frielinger Familie Düwel aus den Jahren 1804 und 1843 sichtbar. An der südlichen Mauer der Gruft erinnert ein eisernes Gedenkkreuz an Sophie Louise Wedekind, die 1858 starb. Das rechte Grabmal aus Stein wurde zur Erinnerung an Heinrich Wedekinds Ehefrauen Anna Magdalena Bartels (gestorben 1676) und Catharina Margaretha Thomas (gestorben 1718) errichtet.